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Enerige & Management > Aus Der Aktuellen Ausgabe - Der Streit um die „Kundenanlage“ aus juristischer Sicht
Quelle: E&M
AUS DER AKTUELLEN AUSGABE:
Der Streit um die „Kundenanlage“ aus juristischer Sicht
Welche Konsequenzen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für das Geschäftsmodell der „Kundenanlage“ nach deutschem Recht hat, erläuert Rechtsanwältin Liane Thau*.
 
Mit seinem Urteil vom 28. November 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) für erhebliche Unruhe in der Energiebranche gesorgt: Die deutsche „Kundenanlage“ nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) verstößt gegen EU-Recht. Zahlreiche Projekte, insbesondere im Bereich erneuerbarer Energien, basieren auf diesem (Geschäfts-)Modell. Wird diese Entwicklung Investitionen behindern? Welche rechtlichen Unsicherheiten entstehen und wie wird der deutsche Gesetzgeber reagieren? 

Ende November 2024 zeigte sich die deutsche Energiebranche erschüttert: Für den EuGH ist die „Kundenanlage“ im Sinne von § 3 Nr. 24a EnWG unionsrechtswidrig. Sie stelle eine unzulässige Ausnahme zum Begriff des Verteilernetzes in der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie dar. Nach bisheriger Regelung in § 3 Nr. 16 EnWG gilt eine „Kundenanlage“ nicht als Netz und genießt deshalb in vielfacher Weise Privilegien.

Hintergrund des Urteils 

Ausgangspunkt war eine Vorlagefrage des Bundesgerichtshofs (BGH) im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Unternehmen und der Regulierungsbehörde über den Anschluss zweier − vermeintlicher − „Kundenanlagen“ an das örtliche Verteilernetz, über den der BGH zu entscheiden hat.

Das Unternehmen betreibt zwei Blockheizkraftwerke und versorgt zwei Wohnanlagen mit jeweils 96 und 160 Wohneinheiten mit Strom. Es beantragte den Anschluss dieser Anlagen als „Kundenanlagen“ an das allgemeine Verteilernetz, was sowohl der Netzbetreiber als auch die Regulierungsbehörde ablehnten. Hinter dem Verfahren stehen erhebliche wirtschaftliche Interessen und die Frage nach regulatorischen Spielräumen für nicht regulierte Infrastrukturen. 

Der EuGH macht mit seiner Entscheidung deutlich, dass er die ihm vorgelegte Konstellation in der Regulierung sieht und bedient sich zur Begründung des Begriffs des Verteilernetzes, der − trotz des verbleibenden Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von EU-Richtlinien − einheitlich auszulegen ist.

Für den EuGH sind andere Kriterien als die Spannungsebene und die Kategorie der Kunden für die Einordnung eines Netzes unzulässig. Ausnahmen hiervon sind allein der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie zu entnehmen. Indem der deutsche Gesetzgeber die „Kundenanlage“ als Ausnahme zum Verteilernetz definiert, habe er diesen Rahmen verlassen. Der EuGH sieht darin eine Gefährdung der Ziele eines integrierten, wettbewerbsgeprägten, verbraucherorientierten, fairen und transparenten Elektrizitätsmarktes.

Auswirkungen und weitere Entwicklung

Mit dem EuGH-Urteil ist der zugrundeliegende Rechtsstreit nicht beendet. Der BGH muss nun unter Beachtung von Tenor und Begründung dieses Urteils entscheiden. Sein Urteil steht noch aus. Es ist wahrscheinlich, dass die vorliegende Netzkonstellation als Verteilernetz eingeordnet wird und dem Betreiber die Pflichten eines Verteilernetzbetreibers auferlegt werden.

Sowohl das EuGH-Urteil als auch das noch ausstehende BGH-Urteil gelten zwar grundsätzlich unmittelbar nur zwischen den Beteiligten des Gerichtsverfahrens. Dennoch dürfte die Argumentation des EuGH weitreichende Folgen haben. Jedenfalls werden deutsche Gerichte und Behörden § 3 Nr. 24a EnWG richtlinienkonform auslegen müssen.

Zahlreiche Betreiber bestehender „Kundenanlagen“ dürften künftig als Verteilernetzbetreiber klassifiziert werden, was umfassende Pflichten nach sich zieht. Dazu gehören etwa Anforderungen an die Genehmigung und Aufnahme eines Netzbetriebs, Verpflichtungen für Netzanschluss und Netzausbau, Netzentgelte, Veröffentlichungspflichten und weitere regulatorische Anforderungen. Bei Verstößen drohen Sanktionen wie ein behördliches Bußgeld nach § 95 EnWG oder aufsichtliche Maßnahmen nach §§ 30 ff. und § 65 EnWG oder auch § 76 MsbG.

Um rechtlichen Unsicherheiten zu begegnen, wird der deutsche Gesetzgeber über eine Anpassung der Regelungen des EnWG zur „Kundenanlage“ nachdenken müssen. Das gilt auch für die Bundesnetzagentur, deren traditionelle Aufgabe die Sicherung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität ist. Sie hat bereits angekündigt, zunächst die Entscheidung des BGH abzuwarten. 

Weitere Unsicherheiten

Die Entscheidung hat Auswirkungen über die „Kundenanlage“ hinaus. Die in § 3 Nr. 24b EnWG geregelte „Kundenanlage zur betrieblichen Eigenversorgung“ könnte das Schicksal der Kundenanlage nach § 3 Nr. 24a EnWG teilen, da sie ebenfalls nicht als Ausnahme in der EU-Richtlinie verankert ist. Direkt ist sie von der Entscheidung aber nicht betroffen.

Darüber hinaus sind zahlreiche energierechtliche Privilegierungen und Förderungen mit der Einordnung als „Kundenanlage“ verknüpft. So setzt beispielsweise die Zahlung des Zuschlags nach § 6 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 KWKG voraus, dass der nicht eingespeiste Strom an Letztverbraucher innerhalb einer „Kundenanlage“ geliefert wird. 

Für den Mieterstromzuschlag (§ 21 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EEG 2023) und die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (§ 42b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EnWG) ist Voraussetzung, dass der Strom nicht durch ein Verteilernetz durchgeleitet wird − was abgrenzen mag. 

Darüber hinaus gibt es weitere Ausnahmen und unregulierte Infrastrukturen, die ähnlich privilegiert behandelt werden wie die „Kundenanlage“. Auch der EuGH nennt sie in seinem Urteil. Zu den unmittelbar in der Richtlinie genannten Ausnahmen gehören die Bürgerenergiegemeinschaft, das geschlossene Verteilernetz, das kleine Verbundnetz sowie das kleine, isolierte Netz.

Davon findet allein das geschlossene Verteilernetz in § 110 EnWG seine Entsprechung im deutschen Recht. Die Bürgerenergiegemeinschaft ist lediglich vereinzelt und fragmentarisch in § 3 Nr. 15 und § 22b EEG 2023 als Ausnahme zum Ausschreibungsregime für Windenergieanlagen normiert. Womöglich zieht der deutsche Gesetzgeber nun auch hier nach. Außerdem gibt es Direktleitungen im Sinne vom Art. 7 der Richtlinie und § 3 Nr. 12 EnWG. 

Fazit: Das Urteil wirft die Frage auf, warum es soweit kommen musste. Das EuGH-Urteil war im Grunde durchaus absehbar. Der deutsche Gesetzgeber ist bei der Umsetzung der Richtlinie einen Sonderweg gegangen. Das klagende Unternehmen hat diesen möglichen Ausgang in seinem Verfahren und die Konsequenzen möglicherweise nicht hinreichend reflektiert.

Die praktische Konsequenz: Quartierskonzepte mit Netzentgelten, Netzumlagen und netzgebundene Abgaben stehen vor neuen regulatorischen Herausforderungen und werden es wirtschaftlich deutlich schwieriger haben. Zwar sind unregulierte Infrastrukturen weiterhin denkbar. Aber Maßnahmen wie zum Beispiel eine dezentrale Stromversorgung aus oder von Gebäuden gehen mit erheblichen Unsicherheiten einher. Erst gesetzliche Anpassungen können wohl eine belastbare Rechtslage schaffen.

*Liane Thau, Rechtsanwältin und Partnerin bei „GÖRG“. Sie berät national und international tätige Unternehmen in allen rechtlichen Belangen des Energiewirtschaftsrechts. 
 

Redaktion
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Mittwoch, 19.03.2025, 09:15 Uhr

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